Infos für Medienschaffende

In den deutschsprachigen Medien erfreut sich das Thema ME in letzter Zeit zunehmender Beachtung. Die Freude wird leider oftmals dadurch getrübt, dass immer wieder Narrative und Begriffe verwendet werden, die eine desinformierende, trivialisierende und stigmatisierende Wirkung erzielen. Diese Fallstricke können umgangen werden, indem ein paar Hinweise beachtet werden.

Wir freuen uns über Kontaktaufnahmen und sind sehr gerne bereit, Medienschaffende bei der Berichterstattung über ME uu unterstützen

  • Wir geben Ihnen Informationen zur Krankheit und zur Situation der Betroffenen.
  • Wir beraten wie eine akkurate Berichterstattung möglich ist, welche nicht trivialisiert.
  • Wir vermitteln Ihnen den aktuellen Stand der Forschung.
  • Wir ermöglichen den Kontakt zu Betroffenen.
  • Wir stehen für Interviews zur Verfügung.

Bitte beachten Sie auch unsere detaillierten Hinweise zu Berichterstattung über ME.

Was ist ME?

Was ist ME?

Die Myalgische Enzephalomyelitis ist eine chronische neuroimmunologische Krankheit, die zu schwerer Behinderung führen kann. Meist tritt sie nach einem viralen Infekt ein. Die genaue Ursache ist mangelhaft erforscht, doch diverse Dysfunktionen des Nervensystems, des Hormonsystems, des Immunsystems und weiterer Systeme und Organe konnten nachgewiesen werden. 1

Die Patient:innen leiden unter verschiedenen Symptomen wie Muskelschwäche, Schmerzen, grippeartiger Erschöpfung und schweren Konzentrationsstörungen. Das Leitsymptom ist die Post-Exertional Neuroimmune Exhaustion (PENE), eine langanhaltende Verschlechterung der Symptomatik, die bereits auf geringe körperliche, kognitive oder sensorische Belastung folgt.

Etwa 60% der Betroffenen sind arbeitsunfähig, rund 25% sind hausgebunden oder bettlägerig. Die Schwerstbetroffenen sind so schwer krank, dass sie ihr Leben vollständig bettlägerig und mit künstlicher Ernährung in abgedunkelten und schallisolierten Räumen verbringen müssen.

Laut einer Studie ist die Lebensqualität von ME-Patient:innen im Durchschnitt tiefer als die von Multiple Sklerose-, Schlaganfall- oder Lungenkrebspatient:innen. 2

Da ME mangelhaft erforscht ist, gibt es bis heute keinen allgemein anerkannten Marker für eine eindeutige Diagnose. Mithilfe der Internationalen Konsenskriterien (ICC) kann die Krankheit dennoch ab Krankheitsbeginn akkurat diagnostiziert werden. 3

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ME im Jahr 1969 unter dem Code G93.3 als neurologische Krankheit klassifiziert. 4

Wieso ist eine sorgfältige Berichterstattung notwendig?

Da lange keine eindeutige körperliche Ursache für ME gefunden werden konnte, kam es zu einer folgenschweren Fehlkonzeption: Ab den 1980er Jahren wurde ME zunehmend mit einem psychischen bzw. psychosomatischen Krankheitsmodell erklärt. Die groteske Grundlage dieser Fehlkonzeption war, dass der hohe Anteil junger Frauen unter den Patient:innen einen Beleg für Hysterie als Ursache liefere. 5 Gleichzeitig gab immer verschiedene Hinweise darauf, dass ME eine körperliche Krankheit ist und es kam zu einer jahrelangen Kontroverse. Spätestens seit 2015 gilt die Evidenz als gesichert.1 Seit einigen Jahren findet deshalb ein Paradigmenwechsel statt.

Viele Vorurteile konnten sich trotzdem bis heute in der Allgemeinbevölkerung, bei den Sozialversicherungen und im Gesundheitswesen hartnäckig halten. Dies hat schwerwiegende Folgen für die Patient:innen. Weniger als ein Sechstel hat einen Arzt, der die Krankheit anerkennt und sich damit auskennt. Die Mehrheit der Betroffenen ist für Lebensunterhalt und Alltagsbewältigung von pflegenden Angehörigen abhängig, weil die Sozialversicherungen die Leistungen verweigern. Das Stigma macht auch vor dem sozialen Leben der Patient:innen nicht halt: Knapp die Hälfte hat durch die Krankheit den grössten Teil des Umfeldes verloren, darunter auch viele nahestehende Personen. 6

Die Fehlkonzeption hat auch dazu geführt, dass ME-Patient:innen zu Therapien geraten wurde, welche ihren Gesundheitszustand stark verschlimmern. Auch in der Schweiz wurden viele ursprünglich mild oder moderat betroffene Patient:innen in die vollständige Bettlägerigkeit ‘therapiert’. 7

Diese Fehlkonzepte und damit auch ihre Folgen werden durch verschiedene Begriffe, Konzepte und Narrative reproduziert und aktualisiert. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie das vermieden werden kann. Alle Punkte gehen einher mit dem aktuellen Forschungsstand und einem breiten Konsens in der schweizerischen und internationalen ME-Community.

Was soll beachtet werden?

Bei den hier aufgelisteten Punkten handelt es sich um eine Kurzversion für den ersten Überblick. Bitte beachten Sie auch unsere detaillierten Hinweise zu Berichterstattung über ME!

BEGRIFFLICHKEIT

Die Begriffe CFS, Chronisches Erschöpfungssyndrom bzw. Chronisches Fatigue Syndrom erfassen weder den Schweregrad noch die Spezifität der Krankheit und führen so zu Trivialisierung und Stigmatisierung. Deshalb sollte der Begriff ME oder ME/CFS verwendet werden.

SYMPTOME

Fatigue ist ein sehr unspezifisches Symptom, das bei verschiedensten Krankheiten vorkommt. Etwa 20% der Allgemeinbevölkerung berichtet an Fatigue zu leiden. Das spezifische Leitsymptom von ME ist im Gegensatz dazu die Post-Exertional Neuroimmune Exhaustion (PENE), eine langanhaltende Verschlechterung der Symptomatik, die bereits auf geringe körperliche, kognitive oder sensorische Belastung folgt.

VERALTETE VORURTEILE

Die Forschung anerkennt ME eindeutig als spezifische körperliche Krankheit. Das alte Vorurteil ME keine eigenstädige Krankheit oder ein psychosomatisches Leiden ist aber leider immer noch verbreitet. Dieses Vorurteil schadet den Patient:innen auf verschiedenen Ebenen, nicht zuletzt durch Fehlbehandlungen, die ihnen schweren Schaden zufügen können. Psychische Probleme können wie bei jeder schweren Krankheit sekundär vorkommen, sie sind aber keine typischen Symptome von ME.

OBJEKTIVIERBARKEIT

Obwohl es keinen allgemein anerkannten Blutmarker für eine eindeutige Diagnose von ME gibt, lässt sich die Krankheit objektivieren. Auf Studienebene konnten verschiedene pathophysiologische Abweichung eindeutig belegt werden. Ausserdem gibt verschiedene Tests, mit denen sich ME spezifisch objektivieren lässt. Mithilfe etablierter Diagnosekriterien lässt sich die Krankheit klar diagnostizieren.

BILDSPRACHE

Es ist problematisch, wenn das Bild einer Krankheit, das sich ins öffentliche Bewusstsein einbrennt, nur die am mildesten Betroffenen repräsentiert. Insbesondere das Burnout-typische "Schreibtischmotiv" wird der Realität der Betroffenen keineswegs gerecht. Positivbeispiele bilden die Realität und den Alltag der Patient:innen ab und repräsentieren nicht nur mild Betroffene. Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS bietet entsprechende Pressefotos.

Konkrete Negativ- und Positivbeispiele finden Sie in unseren Hinweisen zu Berichterstattung über ME.

Weitere Informationen

ME wurde früh als neuroimmunologische Krankheit erkannt und unter dem Begriff Myalgische Enzephalomyelitis beschrieben und spezifisch definiert. 1988 entstand im Rahmen eines Paradigmenwechsels die Krankheitsbezeichnung CFS (Chronic Fatigue Syndrom). Die dazugehörigen Diagnosekriterien sind sehr unspezifisch und fokussieren vor allem auf das weit verbreitete Symptom Fatigue. Dies führte dazu, dass Menschen mit verschiedensten pathologischen Erschöpfungszuständen mit dieser eigentlich spezifischen Krankheit diagnostiziert wurden.

Auch der Begriff ist hoch problematisch, da er weder die Spezifität noch den Schweregrad der Krankheit angemessen erfasst und stark mit der psychosomatischen Fehlkonzeption assoziiert ist. Eine Studie zeigt, dass Medizinstudent:innen dieselben Fallberichte als weniger schwerwiegend einstufen, wenn der Begriff CFS im Vergleich zu ME verwendet wird.

In der Schweiz wird leider auch heute noch in den meisten Fällen unter dem Begriff CFS ohne korrekte Diagnosekriterien diagnostiziert. Während die Krankheit bei vielen medizinischen Fachpersonen verkannt ist, ist sie bei anderen gänzlich unbekannt, weshalb viele Patient:innen undiagnostiziert sind bzw. jahrelang auf eine Diagnose warten müssen.

Der Antrieb der Patient:innen ist ungemindert. Sie haben Ziele, Pläne und viel Motivation, aber die Krankheit lässt sie nicht. In Ausnahmesituationen können Patient:innen kurzzeitig über ihre Grenzen gehen, darauf folgt dann der typische Crash. Diese führt wiederum häufig dazu, dass der Gesundheitszustand von Ärzten und dem Umfeld als inkonsistent wahrgenommen wird. Die Psychologisierung der Patient:innen und die damit verbundene Scham begünstigen, dass die Betroffenen ihre Symptome verstecken und wiederholt über ihre Grenzen gehen, was den Gesundheitszustand weiter verschlechtern kann.

Bitte beachten Sie auch die Hinweise der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS !

Maya

Einzelnachweise

INSTITUTE OF MEDICINE: Beyond Myalgic Encephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome: Redefining an Illness, Februar 2015. (online)

MICHAEL F. HVIDBERG ET AL: "The Health-Related Quality of Life for Patients with Myalgic Encephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS)", in: PLoS One, Juli 2015. (online)

BRUCE. M. CARRUTHERS ET AL., “Myalgische Enzephalomyelitis – Erwachsenen- und Kinderheilkunde: Internationale Konsensleitlinie für Ärzte”, 2012. (online)

DIES., “Myalgic encephalomyelitis: International Consensus Criteria”, in: Journal of Internal Medicine, Juli 2011. (deutsche Übersetzung; Originalversion)

WHO: ICD-10 G93.3, Version 2019. (online)

COLIN P. MCEVEDY, A. W. BEARD: "Concept of Benign Myalgic Encephalomyelitis", in: British Medical Journal, Januar 1970. (online)

SCHWEIZERISCHE GESELLSCHAFT FÜR ME & CFS: Die Situation der ME-Patient:innen in der Schweiz, Mai 2021. (online)

KEITH GERAGHTY ET AL., “Myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome patients’ reports of symptom changes following cognitive behavioural therapy, graded exercise therapy and pacing treatments: Analysis of a primary survey compared with secondary surveys”, in: Journal of Health Psychology, August 2017. (online)